Frontpage Slideshow | Copyright © 2006-2011 JoomlaWorks Ltd.

1957: Jirishanca - auf den Flügeln des Kolibris

Anmerkung: Diesen Bericht veröffentlichen wir hier, weil Siegfried Jungmeier, einer der beiden genannten Bergsteiger, ein Gründungsmitglied der Schermbergler ist.
 

Von Christophe Dumarest
Aus: VERTICAL, deutsche Ausgabe, Nr. 5 April - Mai 2007, S. 50 - 54
 

Der Jirishanca steht seinem mythischen Zwilling oberhalb von Zermatt in nichts nach. Das Matterhorn der Anden beeindruckt mit einer exotischen Silhouette und wartet mit höchsten technischen Schwierigkeiten auf. Mitten in der peruanischen Cordillera gelegen, erhebt sich der Gipfel des "Kolibrischnabels" bis auf 6126 Meter. Die zunehmende Zahl der Besteigungen und die Versuche großer Alpinisten aus aller Welt beweisen, dass der Jirishanca inzwischen zu den ganz wichtigen Gipfeln zählt.


EI condor pasa

Von dem einzigartigen Kraftakt durch Toni Egger und Siegfried Jungmeier 1957 bis zu der beachtlichen Besteigung im Alpinstil durch Bullock und Powell 2003 war der Jirishanca Schauplatz spannender Geschichten und Begehungen. Der Gipfel wurde als letzter unter den Sechstausendern in der Cordillera Huayhuash bestiegen und gilt heute noch als eines der wichtigsten Ziele. Zusammenfassung einer unvollendeten Biographie.
 

Der Jirishanca im Herzen der Cordillera Huayhuash bildet einen packenden Kontrast zwischen dem schroffen und verschneiten Massiv im Norden und dem tropischen Regenwald weiter im Süden. Der Blick von seinem Gipfel, zwischen Jirishanca Nord, Jirishanca Chico, Rondoy und Yerupaja ist einzigartig.


Wie der Jirishanca zogen auch die anderen hohen Gipfel der Cordillera Huayhuash das Interesse von Alpinisten wie Bonatti, Brown, Fowler, Lowe sowie Simpson und Yates auf sich. An den Wänden des inzwischen berühmten Siula Grande spielte sich das tragische und weltberühmte Drama ab, das Simpson in seinem mittlerweile verfilmten Roman "Sturz ins Leere" beschrieb.

Doch von vorne: 1936 und 1954 wird der Jirishanca von zwei Expeditionen des österreichischen Alpenvereins in Augenschein genommen. Leider wirkt der Berg zu gewaltig, um ernsthaft als Ziel in Frage zu kommen. Stattdessen nimmt man sich die anderen Gipfel der Kette vor. Auch eine amerikanische Expedition macht 1950 noch einen Bogen um den Berg. Doch das Interesse ist geweckt und 1957 reist eine solide Mannschaft in die Anden. Unter ihnen findet sich der Dolomitenführer Toni Egger, der 19 Monate später bei einem Versuch am Cerro Torre ums Leben kommt. Siegfried Jungmeier, einer der wenigen Alpinisten, der eine Begehung der Eiger-Nordwand für sich verbuchen kann, zählt ebenfalls zu der Expedition. Der Ansporn, den Gipfel zu erobern, ist groß. Das Expeditionsteam weiß, dass es sich um den einzigen noch unbestiegenen Sechstausender im Massiv handelt.
 

Allerdings ist es nicht der Besuch der Österreicher, der den Jirishanca berühmt machte, sondern der Absturz eines peruanischen Militärflugzeugs. Verschiedene Expeditionen stoßen in der Folge auf Wrackteile, unter anderem Stéphane Deweze und Antoine Noury während ihres anspruchsvoll en Versuchs im Alpinstil am Ostgrat 1984. Die Japaner entdeckten schließlich während einer aufwendigen Expedition 1972 das Flugzeugwrack. Die Reste der Führerkabine liegen mitten in der Südostwand 300 Meter unter dem Gipfel, dem höchsten Punkt, den die Japaner erreichten.

Die bemerkenswerteste Aktion dieser Jahre ist zweifellos die Begehung von Toni Egger, Siegfried Jungmeier und ihren Gefährten. Der Versuch an der Westseite mit ihren steilen Eisrinnen und der beeindruckenden Gipfelwand bleibt erfolglos. Ein Anlauf auf der Südostseite scheint von vorneherein zum Scheitern verurteilt und gilt zu diesem Zeitpunkt als unmöglich. Schließlich konzentriert sich die Expedition auf den Ostgrat, den sie von der Nordseite her angeht. Der hauchdünne Grat zwischen dem Nord- und dem Hauptgipfel weckt ebenfalls Sehnsüchte, wird aber als zu anspruchsvoll eingeschätzt. Selbst heute stellt diese Tour noch eine echte Herausforderung dar. Die Österreicher richten Fixseile ein und gehen entschlossen die unzähligen Schwierigkeiten an, die der Jirishanca bietet: brüchigen Kalk, schlecht abzusichernde Eisrinnen und nassen Schnee, der an pappigen Reis erinnert. Um eine unüberwindbare Eiswand zu umgehen graben sie einen Tunnel.

Dennoch scheitern sie knapp unter dem Gipfel auf Grund der Schneeverhältnisse: "Jeden weitere Meter hätten wir schwimmen müssen", schildert Doktor Heinrich Klier die Situation. Die Trockenzeit nähert sich mit großen Schritten und es gibt nur noch wenige potentielle Gipfelanwärter in der Gruppe. Egger und Jungmeier entschließen sich zu einem weiteren Versuch, der allerdings noch waghalsiger ist: Sie nutzen zwar die verbliebenen Fixseile, nehmen aber kein Zelt und nur wenige Lebensmittel mit. Klier beschreibt ihr gefährliches Unternehmen so: "In Friedenszeiten hätte niemand diese Aktion befehlen können. Aber Egger und Jungmeier waren schließlich Freiwillige." Am 12. Juli 1957 erreichen die beiden Männer völlig erschöpft den Gipfel. Ihre one push-Begehung vom höchsten Lager aus bleibt ein unvergleichliches Kunststück in der Geschichte der Anden und eine der großen bergsteigerischen Leistungen überhaupt. Die Nordseite des Jirishanca erfährt bei weitem nicht dieselbe Beliebtheit wie die benachbarten Ziele. Lediglich die Begehung durch die Amerikaner Gary Colliver und Glen Denny 1964 unterbricht für einen Moment die Ruhe.

Schließlich reist der "Maestro" in Person an: Ricardo Cassin stürmt 1969 die Westseite des Jirishanca. Der Pionier von Walkerpfeiler, McKinley-Südwand und Gasherbrum IV kommt mit großen Ambitionen in die Cordillera Huayhuash. Cassin will "die Westwand über die ästhetischste und anspruchsvollste Linie überhaupt besteigen". Die Geschichte belegt es immer wieder, Cassin ist solide und zäh. Mit der Unterstützung seiner Mannschaft und von Fixseilen erreicht er sein Ziel und besteigt den langen, 60 Grad steilen Schneehang. Weder Unwetter, die sie in Eishöhlen zwingen, noch die eindrucksvolle Gipfelwand oder die gefährlichen Fallen auf dem Gipfelgrat können die Begeher aufhalten. Am Gipfel erwartet sie ein instabiler und gefährlicher Eispilz, den sie zuletzt noch überwinden müssen. Am 6.Juli 1969 reißt Cassin in unbeschreiblicher Begeisterung die Arme in den Himmel: "Vor lauter Euphorie wurde mir schwindelig. Ich war glücklich, sorglos und konnte meine Freude kaum fassen. Meine tiefsten Gefühle und meine Dankbarkeit meinen Freunden gegenüber war unbeschreiblich."
 

Von den fünf anderen Routen auf der Westseite führt lediglich die Tschechoslowakische Tour über die ganze Länge der Wand. Trotz der 250 Meter Fixseil beim ersten Versuch bleiben die vielseitige Linie und ihr eleganter Ausstieg über die Headwall beeindruckend. So wie in den Alpen richten sich in der Cordillera Huayhuash nach der Besteigung aller Gipfel die Blicke auf die noch unbegangenen Wände und Grate. Nach dem Fehlschlag der Japaner-Expedition 1972 in der Südostwand folgt bereits im darauf folgenden Jahr ein weiteres Team aus dem Land der untergehenden Sonne. Nach einer Belagerung, die allen antiken Angriffen zu Ehren gereicht, gelingt den Japanern die Erstbegehung der steilen Südostwand. 1974 starten die Österreicher einen erfolglosen Versuch am äußersten linken Ende der Südwand. Anschließend fällt der Jirishanca für 26 Jahre in den Dornröschenschlaf. Eine slowenische Seilschaft unternimmt 2000 einen Versuch im Alpinstil an der Südostwand, der aber scheitert. Erst im Jahr 2002 tauchen Nick Bullock und Al Powell in der Gegend auf Ihr Versuch wird durch eine Lawine brüsk ausgebremst und lässt sie schnell wieder von den Flügeln des unnahbaren Vogels absteigen. Erst 2003 gelangen sie ans Ziel, im Jahr, in dem auch Begehungen an der Ost- und der Südostwand gelingen. Während Aymeric Clouet und Didier Jourdain an der Ostwand eine elegante Begehung hinlegen, nutzen etwas skrupellosere Italiener 40 Expansionshaken um ihr Ziel zu erreichen. Eine ziemlich traurige Leistung im Vergleich zu dem Bravourstück von Egger und Jungmeier einige hundert Meter weiter östlich.
 

Der Jirishanca fesselt Alle, die ihm zu nahe kommen; herrliche Kapitel der Andengeschichte wurden hier bereits geschrieben. Nach wie vor fehlen noch eine Direttissima der Südwand sowie die Verbindung von Nord- und Hauptgipfel. Damit ist garantiert, dass noch weitere schöne Geschichten die Biographie dieses seltenen Vogels bereichern werden.